Wenn mein Mann ganz selbstverständlich 50.000 € ausleihen kann und für eine Sache investieren möchte, dann ist das kein Problem. Er ist ja ein Mann. Aber wenn ich etwas investieren möchte, in meine persönliche Weiterentwicklung wird es argwöhnisch betrachtet und es für gar nicht so wichtig abgetan. Was bringt die Investition? Wirft es direkt Geld ab? Ist es der richtige Zeitpunkt? Vielleicht kann ich das machen, wenn wir finanziell stabiler stehen. Oder die Kinder größer sind, oder wenn einfach mehr Zeit ist.
Und NEIN. Ich bin gerade richtig wütend auf mich. Was sollen das bitte für bekloppte Ausreden sein? Die Erfahrung hat bereits gezeigt, dass große Summen nicht gleich große Summen wieder reinbringen. Jedenfalls war das bei uns der Fall. Es ist branchenbedingt. Mir war es wichtig, meine eigenen Werte zu kennen und der Welt etwas zurück zu geben. Ich möchte die Welt ein Stück weit besser verlassen, als ich ihn vorgefunden habe. Das Gefühl der tiefsten Erfüllung fühlen und zu wissen, dass ich mein Leben mit Sinn erfüllt habe. Ich bin nicht im Krieg oder nach dem Krieg geboren. Eine Hochachtung vor meinen Ahnen, was sie alles erlitten haben mussten. Auch meine Eltern, wie sie in Armut gelebt haben und es so schwer hatten, finanziell stark zu werden. Meine Eltern konnten kein Wort Deutsch und haben es trotzdem geschafft, ein China Restaurant erfolgreich zu führen. Meine Mama war nur 2-3 Jahre in der Grundschule, als ihr Vater für sie beschlossen hat, dass sie lieber zuhause den Haushalt macht. Sie würde eh verheiratet werden und Kinder bekommen. Da braucht sie nicht lesen oder rechnen zu können. Was für eine Demütigung! Ich bin so sauer, gerade beim tippen. Meine eigene Mutter musste noch erfahren, wie es ist nicht lernen zu dürfen. Sie wurde verheiratet und hat 4 Mädchen in China bekommen. Mein Vater kam aus einer sehr sehr armen Bauernfamilie. Er hatte seine Mutter bereits mit 12 Jahren verloren.
Der älteste Bruder meines Opa´s mütterlicherseits ist im Krieg nach Europa geflohen. Er konnte sich ein Platz auf einem Schiff ergattern und war ein halbes Jahr unterwegs. Irgendwann kam er in Amsterdam an und startete ein komplett neues Leben. Er lernte eine holländische Frau kennen und nahm sie zur Frau. Zu dieser Zeit hat er als Koch in China Restaurants mitgeholfen. Irgendwann entschied er ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Somit ergaben sich die Möglichkeiten, für weitere Verwandte auch nach Europa zu kommen um mitzuhelfen.
Dank ihm hatte mein Vater, mein Onkel und noch weitere Verwandte in meiner Familie die Chance nach Europa zu gehen. Mein Vater wanderte 1979 nach Holland aus und half in der Küche mit. 6 Jahre lang waren meine Eltern getrennt. Meine Mutter war in der Zeit alleine mit vier kleinen Kindern in China.
1985 flog meine Mutter mit meiner großen Schwester nach Deutschland. Drei Jahre später im Januar 1988 kam ich auf die Welt. In der Schwangerschaft haben meine Eltern bereits angefangen ein eigenes Restaurant zu eröffnen, wobei sie nicht weit kamen. Mein Vater hatte die Kaution bereits gezahlt gehabt, ohne die Schlüssel zu erhalten. Das ganze mühselig ersparte Geld war auf einmal weg. Nach dieser Krise kam ich auf die Welt und kurze Zeit später fanden meine Eltern ein Ladenlokal in Radevormwald. Eine kleine freundliche Stadt im oberbergischen Kreis. Ab da ging die Erfolgskurve rapide nach oben. Meine Eltern arbeiteten Tag und Nacht.
Dieser kleine Exkurs zeigt mir, was für starke Vorbilder ich in meiner Familie habe. Was für eine innere Stärke und Selbstvertrauen meine Eltern hatten. Wie so viele ausländische Familie, die aus Kriegsgebieten oder sehr armen Verhältnissen kommen, sind zu fast allem bereit, finanziell auf stabilen Füßen zu stehen und wirklich hart dafür arbeiten zu wollen.
Der glasklare Fokus für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, ist unerschütterlich. Ich bin daher in einer vollkommenen Fülle aufgewachsen, ich habe nie hungern müssen oder Angst haben kein Essen zu bekommen. Ich habe alle Freiheiten bekommen, alles zu lernen was ich wollte. Ich habe mir fast nie Sorgen um Geld gemacht, es war immer genug da. Nur das viele arbeiten, habe ich als Kind bereits nicht für gut geheißen. Ich war schon sehr früh sehr selbstständig, weil es die Umstände so ergab. Meine vier älteren Schwestern waren frühzeitig außer Haus. Ich bin mit 7 Jahren bereits Tante geworden. Meine Nichten waren wie meine kleinen Geschwister für mich. Dabei konnte ich beobachten, wie jede meiner Schwestern gefühlt auch Tag und Nacht arbeiteten. Sie wollten auch für finanziellen Wohlstand sorgen.
Ich habe bereits damals als Teenager entschlossen, niemals so viel zu arbeiten und meine Kinder meinen Eltern zu überlassen. Ich wollte einen Weg finden, wie ich trotz Kinder auch erfolgreich zu sein. Denn das war wie schier eine Unmöglichkeit bei meinen Schwestern. Es war ein entweder du machst Karriere und überlässt deine Kinder bei den Eltern oder Babysitter oder du machst gar keine Karriere und bleibst für deine Kinder zuhause. Zwei sehr starke Extreme, oder nicht?
Ich will den goldenen Mittelweg finden und gehen. Es ist möglich. Das harte Arbeiten ist in meinen Augen, Geschichte. Die Zeiten haben sich gewandelt. Wie alles sich ständig wandelt. Und mein Weg ist, den Fokus auf meine innere Evolution zu lenken. Mein Weg wurde geebnet von meinen Ahnen. Sie haben all das Leid zum Teil erfahren müssen. Die Technologie ist soweit fortgeschritten. Wie weit fortgeschritten sind wir mit unserem Bewusstsein?
Können wir uns bewusst werden, dass wir nicht ohne Grund hier sind?
Können wir uns bewusst machen, dass alle Erfahrungen, die wir machen, uns dazu dient ein höheres Bewusstsein zu erlangen?
Können wir uns bewusst machen, das der Geist über der Materie steht?
Immer mehr Menschen werden sich dessen bewusst. Ich danke meinen Ahnen und Eltern für ihren Weg. Sie haben mir ermöglicht, jetzt hier zu sein. Diese Worte abzutippen. Die Geschichte zu teilen und ein Stück Wertschätzung und Dankbarkeit meiner Familie entgegen zu bringen.
Wie ein Gedanke die komplette Familiengeschichte bei mir hoch bringt, ist wirklich sehr spannend. Es zeigt mir, dass sich selber klein halten als Frau so tief in die Familiengeschichte gehen kann. Die Prägungen, die man als Kind erhält. Und obwohl ich ohne all den materiellen Mangel aufgewachsen bin und Zugang zu all dem Wissen habe, sitzt die Angst im Nacken. Was wäre denn, wenn ich es mir so leicht machen würde?
Wie würde es denn aussehen, wenn alle anderen hart arbeiten und ich nicht?
Was würde passieren, wenn es mir auch noch Spass macht?
Was wäre, wenn all das auch noch Geld abwirft und ich dadurch erfolgreich werde? Nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich.
Was wäre, wenn ich Karriere und Familie unter einem Hut bekommen würde?
Wie würden sich meine Geschwister, Eltern und sogar meine Ahnen fühlen, die es sich so hart erarbeitet haben? Die Kompromisse eingegangen sind, weil sie in ihrer Sichtweise keine andere Wahl hatten. Die verzichtet haben. Die gelitten haben und es nicht anders sich vorstellen könnten?
Dazu sage ich, dass ich all das wahrnehmen kann. Ich verstehe sie und ich mache es anders. Ich kann es anders machen. Das bedeutet nicht, dass nichts mehr hart oder schwer ist, bei mir. Das bedeutet auch nicht kein Verzicht. Ich verzichte auf den Druck und dem Streben nach materiellen Besitz. Ich bin für die Erfüllung in meinem Herzen. Ich bin für die Harmonie zwischen meinen Kindern und meinem Ehemann. Ich bin für die Freude und die Leichtigkeit in meiner Selbstständigkeit.
Um an den Anfang zurück zu kommen, habe ich mich gefragt, warum mein Mann mit einer Selbstverständlichkeit Geld sich ausleihen kann und ich nicht. Nun, nach dieser Geschichte könnte ich es als Ausrede nehmen. Ich könnte auch die gesamte Geschichte unserer Welt hineinnehmen und sagen, dass Frauen ziemlich lange unterdrückt und nicht auf der selben Augenhöhe wie der Mann stand/steht. Und ich weiß, dass viele Frauen vor mir es bereits geschafft. Meine Eltern sind bereits Vorreiter in Sachen „es ist möglich und machbar“, also ist es für mich und dich möglich und machbar den Weg der Freude dramafrei und mit Leichtigkeit zu gehen.
In Liebe &Wertschätzung,